Nachdem in Rappi alles anders lief, als ich es mir in Gedanken ausgemalt hatte, ging ich nochmals über die Bücher. Dabei habe ich festgestellt, dass Athleten, die sich selbst gegenüber zu ehrgeizig sind, das grosse Bild oft aus den Augen verlieren. Das will heissen, dass wir Millimeterarbeit betreiben, Zeiten vergleichen und analysieren und dabei manchmal vergessen, dass die grossen Fortschritte in Jahresschritten stattfinden. Ich meine die Gesamtentwicklung der Leistungsfähigkeit, Ausdauer, Rennhärte etc. Der eigentliche Fortschritt, den wir Anstreben um gleichartige Abenteuer noch besser zu bestehen und neue, grössere erfolgreich in Angriff zu nehmen.
Als ich heute kurz meine Routen fürs Weekend plante, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wenn ich früher die Einladung bei meinen Eltern in Bremgarten AG mit einer Velofahrt kombinierte, dann war es meist die Tour von Langnau nach Sihlbrugg und dann über Mettmenstetten das Reusstal runter. Ich brauche hier nicht zu erwähnen, dass ich nach dieser Fahrt meist fix und foxy war. Morgen Samstag? Ich starte gegen 13 Uhr, denn wir wollen bereits um 18 Uhr essen. Die Fahrt führt mich über den Horgenerberg nach Schindellegi, über den Sattel nach Brunnen, danach dem Vierwaldstättersee entlang nach Hünenberg, via Sins und Muri nach Waltenschwil und von dort nach Bremgarten. In Bremgarten warten meine Laufschuhe auf den Koppellauf bergwärts nach Mutschellen. Und ich weiss eines sicher, fix und foxy werde ich danach nicht sein. Das soll ein – inzwischen – lockerer 30+ Schnitt sicherstellen. Die kraftorientierte und härtere Einheit spare ich mir dann für Sonntag auf, denn dann gibts nochmals 70km – in den grossen Gängen.
So richtig aufgefallen ist mir diese Entwicklung letzte Woche, als ich mit einem Sportskollegen unterwegs war. Der Velo-Neuling läuft den Marathon unter 3 Stunden und verfügt über eine unglaubliche Trainings- und Rennhärte. Ich weiss nicht, wie die das machen. Aber einen Marathon in einer 4:30er Pace zu laufen, ist für mich schier unglaublich. Zurück zu unserer Ausfahrt vom Sonntag in Sonne, Sturm und Regen. Nachdem ich mit dem Rad nach Zug und zurück gefahren war (Kollegen in Zug anfeuern), traf ich ihn in Langnau. Von dort gings dann um den Zürisee (seit mehr als einem Jahr wieder einmal “gümmele”). Ich vorne auf der grossen Scheibe im grössten Gang und er hinten. Der Schnitt im Bereich 33km/h. Mein – generell etwas höherer – Puls lag während der gesamten Fahrt bei rund 130/135. Vor 3 Jahren fuhr ich meine erste Seeumrundung messbar langsamer und an der Schwelle. Kurz vor Horgen in der leichten Steigung bei Käpfnach drosselten wir am letzten Sonntag dann das Tempo, damit sich mein Mitfahrer etwas erholen konnte. Als Dessert folgte dann noch der Heart Break Hill und ein unglaubliches Gefühl in meinen starken Beinen. Mit Reserven erreichten wir den Schlossgarten in Kilchberg für ein Koppelläufli und ein gutes Mittagessen. Das SMS am Montag enthielt unter anderem folgenden Satz: “Du bist sackstark! Komme gerne wieder mal mit (Teilstrecke).”
Dieser Satz hat mich ins Grübeln gebracht. Selbst einfach nur als Kompliment gesehen, war er für mich extrem motivierend. Aber vielleicht steckt ja tatsächlich mehr dahinter. Denn, vergleiche ich meine heutige Leistungsfähigkeit mit meinen Leistungen vor 2 oder 3 Jahren, dann bin ich in der Tat “sackstark” und auch stolz darauf. Das ist Fortschritt. Nicht die eine oder andere Minute die wir Hobbysportler in einem beliebigen Tageshoch oder -tief gegenüber dem Vorjahr rausholen. Nein, es ist der Fortschritt, den wir über Jahre hinweg erarbeiten. Das Gefühl, das Dich erfasst, wenn Du am Silvesterlauf mit denen ins Ziel läufst, die zuvor noch 6 Minuten schneller waren oder wenn Du im Open Water Schwimmtraining automatisch zur schnellen Gruppe gehst oder feststellst, dass der Heart Break Hill zwar hart aber keine Hürde mehr ist. The Big Picture, eine motivierende Perspektive, oder? Etwas Nostalgie schadet nie 😉
Symbolisch fürs Big Picture: Hier auf den 167km über 2’500 Höhenmeter auf Mallorca. Mal schauen, was da noch alles dazukommt die nächsten Jahre 😉