Gringos erstes Radrenn-Erlebnis – Nachträgliche Gedanken zum Decathlon167 am Mallorca312 2011

Fahren im Feld
Der Decathlon167 war meine offizelle „Im-Feld-fahren-Premiere“. Ich habe sehr schnell begriffen, weshalb Drafting keine faire Sache ist. In unserem Fall hier, sind wir mit knapp 30km/h die ersten 26km in die erste Steigung raufgerollt. Erst gegen Schluss dieser Fahrstrecke hatte ich festgestellt, dass ich nach hinten gereicht wurde. Das ständige Überholen einiger hochmotivierter Herren auf der Gegenfahrbahn führte dazu, dass die „Anständigen“ ihre Position verloren. Und es führte auch dazu, dass die Polizei in der Mitte der Strecke mit ihren Motorrädern ein Hindernis aufbaute, damit die Jungs wieder auf einer Spur und nicht auf der ganzen Strasse fuhren. Dies der erste Vollstopp im Feld, der nach iberischer Sitte mit sehr viel Gestik und klaren Äusserungen gefeiert wurde. Der zweite folgte dann, als eine tote Katze mitten auf der Strasse lag. Auch hier gab es offensichtlich sehr viel zu reden. Ei war das ein Spass. Hände rauf, rufen und gleichzeitig bremsen und manövrieren. Die Spanier können das. Sachen gibts. Das grosse Learning aus diesem ersten Abschnitt: Herr Utz beherrscht die Radfahrersprache, zumindest im iberischen Dialekt.

Die Steigungen
Mit meinen mehr als 10 Kilo kurbelte ich mich dann in suboptimaler Radposition den ersten Hang rauf und arbeitete mich im Feld vor. Offensichtlich hatten nun einige der hochmotivierten Herren beschlossen, hier etwas Gas rauszunehmen. Taktik? Zu sehen gabs da wirklich alles. Ein Herr im besten Alter stand gut genährt und gepolstert am Strassenrand und unterhielt seine Kollegen – hinter ihm das Rad, natürlich mit Startnummer. Und dann gabs auch einen Sportskollegen – vermutlich aus dem deutschsprachigen Norden – der in Aeroposition mit rund 13km/h die Steigung in Angriff nahm. Seine Xentis Räder wurden vom Wind hart gepeitscht. Vielleicht hatte er auch Verdauungsprobleme. Ich hatte aber keine zog weiter. Für das Highlight war ich dann selber verantwortlich. Mein Sturz. Vermutlich ein absoluter Anfängerfehler. Vor mir fuhren die angekündigten „6 Herren in Grün“ ein Truppe, welche die Fahrer auf der 312er Strecke führen und motivieren sollte. Diese Profis brachten es tatsächlich fertig, die gesamte Spur komplett so zu blockieren, in dem sie in zwei 3er Reihen fuhren. Dies erkannte ich relativ spät und hing mitten in diesem etwas langsameren Trüppchen fest. Nach einigen Metern des Mitgleitens, startete ich den Versuch, langsam nach rechts zu rutschen, um dann zu überholen. Tja, was soll ich sagen. Mit soliden 13km/h musste ich hart bremsen, kippte um und konnte den Fuss nicht mehr aus dem Pedal drehen. Das Adrenalin sorgte für die nötige Motivation und nachdem ich meinen Bidon aus dem steinigen Hang geangelt hatte, gings nach einem kurzen Bike-Check weiter. Hoch motiviert zog ich erneut am Feld vorbei. Unterstützt von denen, die mich zuvor am Strassenrand gesehen hatten.

Die Abfahrten
Immer wieder kamen bereits im Gebirgsteil kürzere und längere Abfahrten. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher, dass mein Fahrrad ein Nachteil sei. Und ja, vielleicht habe ich in den Steigungen deutlich mehr Kraft als andere gebraucht, aber der Zeitgewinn kam jetzt. Und wie. Man muss sich das so vorstellen: Eine Gruppe von gut 10 Radfahrern fährt hintereinander mit schätzungsweise knapp 50km/h und dann kommt die Autobahnpolizei mit 65 Sachen. WummWummWumm, grosse Scheibe und eine gute 80er Kadenz, moderat getreten. Wenn man alleine fährt, nimmt man diese Differenz nicht wahr. Abgesehen davon machten auch hier viele den Fehler und nutzten die Abfahrten für entspanntes und lockeres Fahren. Die 2km/h, die am Hang zusätzlich investiert wurden, hätte man hier 5 bis 10fach rausgeholt. Und dann kam diese lange, sehr lange und sehr schnell Abfahrt, die ich nicht gerade sachte anging. Mit zeitweise 70 und mehr Sachen donnerte ich da runter und zog mit Scotty und mehr als 2,5 Liter Winforce im Gepäck um die langen und kurzen Kurven. Immer perfekter gelangen uns die Linien und weitere Fahrer huschten rechts an uns vorbei. Hier wurden die Autofahrer für einmal zum Hinderniss und als der Lieferwagen vor mir die Radfahrer nicht überholte, blies ich zum Angriff. Blinker raus und Vollstoff am Auto und am Feld vorbei. In diesen Abschnitten stieg mein Schnitt nach all den Höhenmetern dramatisch an und ich beherzigte diesen Tipp und nahm mit was ging. Denn leichter und komfortabler erhöhst Du Deine Pace nicht.

Die Polizei
Es gab einige, die waren offensichtlich noch wilder unterwegs. Und dann gabs auch die, welche auf den öffentlichen Strassen zu Dritt nebeneinander fuhren, was dazu führte, dass der Verkehr nicht vorwärts kam – wobei die Spanier auf den Nebenstrassen kaum mehr als 30 bis 40 Sachen fahren. Irgendwann eingangs Ebene kam dann eine Strassensperre und ich dachte, wen suchen die denn? Nein, keine Autos, die Velofahrer wurden von der Strasse geholt und ein leicht genervter Polizist erklärte uns in klirrender spanischer Sprache mit rund 90 Dezibel, dass wir irgendwas anders machen sollten und etwas von Nummern aufschreiben und so. Verstanden habe ich nichts. Und als dann die ersten einfach davonfuhren, schloss ich mich denen an. Gegen fünf Minuten investierten wir in diesen Plauderplausch. Ein wenig Black-Box-Feelings mit mallorcinischer Unterhaltung.

Der Wind
Wenn wir in der Schweiz von Wind sprechen, dann ist das ein Lüftchen. Ausser an ganz speziellen Tagen, wenn der Föhn über unsere Hügel pfeifft. Und genauso muss man sich eine mallorcinische Brise vorstellen. Hier brauchte ich erstmals einen starken Kopf, denn ich war mich diese Situation nicht gewohnt und gleichzeitig war so gegen Kilometer 100 bis 110 viel Kraft raus. Bei uns allen. Wäre da, das kleine Trüppchen nicht gewesen, das sich in meinem Windschatten ansammelte und mich anschliessend tatkräftig bei der Windarbeit unterstützte, dann wäre ich hier ziemlich eingebrochen. Aus der anfänglichen 35er Pace meiner Kollegen auf dem Rennrad wurde nun ein 27er, zeitweise noch langsamer. Immer wieder kamen leichte Steigungen, welche die Pace noch mehr nach unten rissen. Immer wieder gabelten wir vermeintlich langsame Fahrer auf, die dann in unserem Windkegel bis zum Schluss mithielten. Ein tolles Gefühl, als Team durch diese schwierige Phase zu kommen.

Konzentriert unterwegs
Zweimal passierte es mir, dass ich das Feld anführte und am Wegweiser vorbei donnerte. Ja richtig, mit der Hälfte des Feldes im Gepäck. Caramba! Die einen lachten, die anderen fanden es nicht so lustig. Vermutlich lags einfach daran, dass ich nach einer gewissen Zeit wie in Trance fuhr und nur noch sah, was unmittelbar vor mir lag. Der Wind, die öffentlichen Strassen, Kreuzungen und ein zeitweise ganz übler Strassenbelag. Nun denn, es folgte ja jeder freiwillig 😉

Die Verpflegung
Eines der Highlights dieses Rennens waren die DREI Verpflegungsposten entlang der 167km langen Strecke, von denen ZWEI auch feste Nahrung anboten. Nebst Bananen, Äpfeln und äusserst spektakulären Riegelschnittchen gabs auch Kuchen und an einem Ort sah ich noch Salziges. Bei den Getränken wurden ColaDOSEN, AquariusDOSEN und Petflaschen gereicht. Wobei eigentlich nichts gereicht wurde. Vielmehr mussten sich die Teilnehmer mit den Velos zwischen ihren Beinen ein Druchgreifloch zu einem der beiden 1m langen Tischchen erkämpfen, um eine der begehrten Wasserflaschen zu ergreifen. So sind sie halt die Iberer, unkompliziert und sozial. Ich war asozial und ernährte mich ausschliesslich von Winforce (Carbo Basic Plus und Gel). Einzig etwas Wasser musste dann und wann her. Die richtige Entscheidung. Schon auf meinen langen Trainingsfahrten stieg ich nüchtern auf den Bock und hielt mich an diese Produkte. Keine Krise, kein Harndrang – was da an der Strecke gepinkelt wurde glaubt eh keiner – und Leistung bis zum Schluss.

Trinken unterwegs
Meine ersten richtigen Erfahrungen mit dem Speedfilsystem machte ich hier auf den Balearen. Und ich bin begeistert. An den Stopps konnte ich eine Flasche greifen, um dann auf dem Rad, den Tank mit einem einzigen Griff wieder zu füllen. Eine Sache von wenigen Sekunden. Dann der Griff nach hinten zur Winforceflasche – ich hatte ein wenig verdünntes Konzentrat gemixt – und eine Viertelflasche dazu. Finito und go! Einzig auf den holprigen Strassen wurden meine Beine und Scotty etwas nass. Der Rahmen sah aus, als hätte einer vom Ballerman 5 die Sangria vom Vorabend ausgeschwitzt. Zum Winforce gabs dann noch Salztabletten. Die hatte ich im Stick mit dabei und im zweiten Streckenabschnitt bei voller Fahrt schnell und sicher zur Hand.

Zeitfahrrad
Es lag sicher nicht an meinen Rookie-Beinchen, dass ich zeitweise fast in Warp-Geschwindigkeit an anderen Fahrern vorbeizog. Dazu fehlt eindeutig noch viel. Aber nebst meiner deutlich gesteigerten Kraftausdauer und Fahrtechnik, steuerte Scotty sehr viel bei. Material matters. Jedesmal wenn ein anderer die Pace im Feld übernahm und gegen den Wind ankämpfte, war ich mehr damit beschätigt zu bremsen und Scotty zu zähmen als die Geschwindigkeit mitzuhalten. Dies war dann auch der Grund, weshalb ich immer wieder für lange Zeit die Pace machte – blöderweise immer vor den Steigungen – damit ich meinen Vorgfahrer nicht mit dem Geräusch meines Freilaufs nervte. Das muss frustrierend sein, wenn einer in Deinem Nacken immer am Zahnrad dreht. Wieder in der Poleposition, quittierte das Scotty mit einem Geräusch, das sich anhörte, als ob der den Wind zerschneiden würde. Die häufigen Blicke der Überholten zurück, erweckten den Eindruck, dass die uns bereits heranrauschen hörten. Ein Mix aus Rollgeräusch der Zipp und dem Windgeräusch des Rahmens. Brauchte ich mehr Aufmerksamkeit oder Freiraum für ein Überholmanöver, dann aktivierte ich den Freilauf der 1080er. Das sorgte immer für Aufmerksamkeit. Keiner aus dieser Gruppe war in der Lage gewesen, über eine solange Zeit eine so hohe Pace zu halten. Meist fuhren sie nach 2 bis 3 Minuten zur Seite und machten Platz für den nächsten Fahrer. Die Gruppe wurde in dieser Phase auch wieder kleiner und schrumpfte von rund 20 auf 10 Fahrer. Einmal aus dem Windschatten, schafften die das nicht mehr zurück. Also stimmt es doch: das richtige Material und ein harter Kopf können entscheidend sein. Zumindest was Wind und Ebene sowie die Berge anbelangt. Und abgesehen davon, musste ich ja nachher auch nicht mehr laufen 😉

Training und Baustellen
Meine Vorbereitung war gut. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung. Selbst meine Schwäche – Kraftausdauer auf langen Steigungen – mausert sich langsam. Was ich mir für diese Saison noch aneignen muss, ist ein besseres Gefühl dafür, was ich von meinem Körper noch abrufen kann und wann Schluss ist. Sprich, wie weit kann ich gehen und wie lange kann ich das halten. Und vielleicht schaffe ich es ja noch bis Kalmar, noch ein wenig mehr Dampf in meine Schenkel zu laden.

Ein tolles Rennen mit ganz tollen Erfahrungen, von denen ich zehren werde und die mich auch radfahrerisch weiterbringen. Und dann diese Bewunderung der Jungs für meine Leistung auf den letzten Kilometern. Die waren echt beeindruckt.

Und hier das Protokoll. Leider habe ich die Pulsdaten verloren. Mal schauen, ob die sich noch irgendwo finden.

Auch im Beruf dreht sich vieles um die Komfortzone. Mehr dazu und über den Unternehmensberater Patrick Utz gibts auf https://patrickutz.com.

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